Angst – als eines der Gefühle, die wir empfinden können – gehört zur normalen Gefühlsgrundausstattung jedes Lebewesens. Sie hilft in gefährlichen Situationen schnell zu reagieren, da wir vererbte und erworbene Erfahrungen in uns tragen, die die Konsequenzen dieses schnellen Handelns im Gehirn und Körper hinterlassen haben.
Energiereserven werden dadurch freigesetzt, dass der Körper in einen Alarmzustand gerät. Die Pupillen weiten sich, Seh- und Hörvermögen werden schärfer, die Muskeln werden aktiviert, die Aufmerksamkeit steigt, Energiebereitstellung und Reaktionsgeschwindigkeit werden erhöht, Herzfrequenz und Atmung beschleunigen, wir schwitzen, zittern, und uns kann sogar übel und schwindelig werden.
Es macht keinen Unterschied, ob die Bedrohung real oder nur in der Vorstellung existiert, die körperliche Reaktion wird die gleiche sein. Stellen sich Angstgefühle zu häufig ein oder werden sie sogar täglich erlebt, schießt die ursprünglich positive Wirkung über das Ziel hinaus, wirkt kontraproduktiv und macht auf Dauer krank.
Panikattacken können plötzlich auftreten ohne einen sichtbaren Anlass. Weil sie so unberechenbar sind, haben Menschen, die das schon einmal erlebt haben, „Angst vor der Angst“. Dazu kommen noch permanente Sorgen, dass ihnen oder ihren Angehörigen etwas zustoßen könnte. Die Gedanken kreisen nur noch mehr um Unfälle, Katastrophen, Krankheit und Armut.
Wer Zeitung liest oder fernsieht, gewinnt schnell den Eindruck: Angst ist überall präsent und fließt auf allen Kanälen. Sogar als Unterhaltung bei gängigen Serien und Actionfilmen werden verängstigte, um ihr Leben rennende oder qualvoll umgekommene Menschen dargestellt. Was für eine fragwürdige Unterhaltung!
Der Wissenschaftler und Risikoforscher Durodié meint, dass Menschen heute generell ängstlicher geworden sind. Weil z.B. nach dem Ost-West-Konflikt ein „Versagen der Politik“ eingetreten ist und kaum jemand mehr genau weiß, wogegen er eintreten solle, und vielleicht noch weniger, wofür. Aus dieser Ratlosigkeit heraus müssen wohl Menschen neue Feindbilder suchen. Eine gemeinsame Besorgnis oder Angst stiftet Identität und schafft das Gefühl der Zugehörigkeit. Früher hätten sich Menschen vor der Hexerei, Drachen und der Hölle gefürchtet, heute haben wir eben andere Themen.
„In allen Fällen von kollektiven Ängsten, die ich kenne, ist politische Macht im Spiel“, sagt der Sozialhistoriker Jakob Tanner. „Das war bei der Massenhysterie im Ersten Weltkrieg so und auch bei der Angst vor der Atombombe im Kalten Krieg.“ Die Instrumentalisierung der Gefühle wird bewusst bei einer Herrschaftsausübung eingesetzt, sei es auf der politischen oder religiösen Ebene. Wer Angst hat, engt seine Gedanken ein und unterstützt Politiker oder Machtinhaber, die versprechen, das Problem zu lösen. Verständlich, aber nicht gerade klug, denn es bringt selten die Lösung mit sich, die man erwartet hätte.
Kollektive Angst ist eine politische Ressource, mit der Politiker ihre Legitimität und Autorität erhöhen könnten, sagt auch der britische Dokumentarfilmer Adam Curtis.
Bei kollektiven Ängsten ist es förderlich, innerlich zwei Schritte zurückzutreten und sich zu fragen: Hat diese Befürchtung oder Angst überhaupt eine realistische Grundlage? Oder handelt es sich um ein Gerücht? Damit kann man innerlich gegen kollektive Angstwellen entgegenwirken und wird nicht sofort ungewollt mitgerissen.
Nehmen wir die Brustkrebs-Früherkennung als Beispiel: es wird eine regelmäßige Röntgenuntersuchung der Brust mit Plakaten beworben, damit das Sterberisiko um 25 bis 30 Prozent gesenkt wird. Diese Angabe stimmt zwar, kann aber für Missverständnisse sorgen. Die absoluten Zahlen sagen laut Dr. Norbert Guggenbichler mehr aus: von 1000 untersuchten Frauen sterben drei an Brustkrebs in einem Zeitraum von zehn Jahren. Von 1000 nichtuntersuchten Frauen sterben vier. Hier sein Leserbrief.Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass für die nichtuntersuchten Frauen ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko besteht. Welche Risiken aber die Untersuchung selbst in sich birgt, wird einfach nicht erwähnt und nicht mitberücksichtigt. Röntgenstrahlen und die schmerzhafte Quetschung der Brust sind aber – bereits wissenschaftlich nachgewiesen – an sich schon belastend und hinterlassen ihre Spuren. Dazu kommt noch unnötigerweise, dass bei vielen Frauen etwas Verdächtiges gesehen wird, das verständlicherweise Angst macht, dadurch das Immunsystem geschwächt wird und sich erst nach aufwendigen Untersuchungen oft als Fehlalarm herausstellt. Die körperlichen und psychischen Schäden bleiben aber und wirken still in die Zukunft hinein.
Auch an diesem Beispiel sieht man, wie wichtig es wäre, Risikokompetenz bereits in der Schule zu unterrichten. Wer wichtige statistische Prinzipien verstanden hat, liest Meldungen anders, trifft seine Entscheidungen aus einem anderen Blickwinkel, vernünftiger und emotional neutraler. Wenn der Kontext, sprich die absolute Relation einer Meldung, nicht berücksichtigt wird, bleiben Emotionen und der Mensch in einer vorher kalkulierten Richtung manipulierbar.
„Erstaunlicherweise ist die reichste, langlebigste, bestgeschützte und ressourcenreichste Zivilisation auf dem besten Wege dazu, auch die ängstlichste zu werden. Das Vertrauen in die etablierten wissenschaftlichen Experten ist in einer Krise. Gleichzeitig sind sich die Menschen der alltäglichen Risiken für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen bewusster denn je.“ Lesen Sie hier einen Bericht des IKW – Industrieverband Körperpflege und Waschmittel e.V.